Mit dem Grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling in Pattensen

  • Veröffentlicht am: 2. März 2011 - 14:02

Die örtliche Bürgerinitiative und ein mittelständischer Unternehmer protestieren gegen geplante Putenmastanlage - Häusling gibt Schützenhilfe. Ein Bericht von Christiane Hussels, Sprecherin der Grünen Regions-AG Land und Tier.

Welche Interessen führen einen Hersteller von Babyschnullern und einen EU-Agarexperten zusammen? Es ist die reine Luft, die der Unternehmer für seine Fabrikation eines hoch sensiblen Produkts braucht - und die wird von der von einem Pattenser Landwirt geplanten riesigen Putenmastanlage bedroht. So kam es, dass Martin Häusling nicht nur bei der Veranstaltung der Regionsfraktion am 17.02. im Regionshaus auf dem Podium saß, sondern am 18. Februar, begleitet von Grünen aus der Region, eine Betriebsbesichtigung bei dem Schnullerhersteller Novatex in Pattensen machte. Als aufmerksame ZuhörerInnen und Sachkundige Fragen-StellerInnen waren auch VertreterInnen der Pattenser Bürgerinitiative dabei. Zunächst erläuterte der Chef von Novatex, Armin Struckmeier, die Situation des Unternehmens. Er begann mit einer kleine Anekdote: Die Schnuller und anderen Produkte für Säuglinge werden in alle Welt exportiert, und deshalb kommen auch BesucherInnen und AuditorInnen von verschiedenen Kontinenten nach Pattensen. Vor einiger Zeit hätten japanische AuditorInnen die hygienischen Standards der Fertigung als exzellent gelobt, aber die auf einer Wiese des Betriebsgeländes grasenden firmeneigenen Schafe moniert. Der Kot der Tiere könne die Luft in den Fabrikationshallen verunreinigen.

Struckmeier erklärte den Besuchern, warum er sich große Sorgen um die Luftqualität in Pattensen mache, wenn ein Putenmaststall mit 40.000 Puten gebaut werde. Dem Landwirt werden keine Luftfilteranlagen vorgeschrieben, wenn die Zahl der Tiere 39.999 nicht übersteigt. Und so ein Stall sei aus der Sicht seiner Produktionsvoraussetzungen "eine Dreckschleuder”.

Der Chef von Novatex sagte, dass er dabei sei, den Glauben an die Vernünftigkeit von Politik zu verlieren. Das Geflecht der Gesetze, Verordnungen und Vorschriften, an das er als Unternehmer sich halten müsse, sei äußerst komplex. Ein Landwirt hingegen könne einen riesigen Maststall bauen, obwohl Tausende Tiere und ihr Kot Wasser, Luft und Boden belasteten. Die Vorschriften seien hier sehr locker. Martin Häusling stimmte ihm zu und erläuterte, dass Landkreise wegen des § 35 des Bundesbaugesetzbuches keine Steuerungsmöglichkeiten bei den Mastanlagen hätten. Dieser aus den 50er Jahren stammende Paragraf privilegiert die Landwirtschaft und lässt den Bau von riesigen Agrarfabriken zu.

Martin Häusling berichtete, wie er sich in Brüssel dafür einsetzt, dass die für 2013 geplante EU-Agrarreform den Trend zur industrialisierten Landwirtschaft stoppt. Der EU-Agrar-Kommissar Dacian Ciolos habe einen sehr sinnvollen Vorschlag für die Reform gemacht: Weg von den Subventionen pro Hektar hin zu einer Förderung, die dem Schutz der Umwelt und der Erhaltung der Kulturlandschaft Priorität gibt. Angesprochen auf die Erfolgsaussichten dieser Richtungsänderung in der EU-Agrarpolitik meinte er, die Lobbyisten der großen Agrarländer Deutschland und Frankreich seien in Brüssel sehr stark. Sie verfügten über viel Geld und setzten sich mit viel Energie dafür ein, dass die Förderung nach dem Gießkannenprinzip erhalten bleibe. Er riet den Anwesenden, Briefe an niedersächsische EU-Parlamentarier anderer Parteien zu schreiben und darin klar zu machen, dass sehr viele Bürger Massentierhaltung und den Trend zu immer riesigeren Höfen nicht wollten, sondern sich die Erhaltung bäuerlicher Strukturen wünschten. Das EU-Parlament habe nämlich bei der Agrarreform mitzureden, und so könne man EU-Politiker für die Landwirtschaftsreform interessieren und der Lobbymacht von Bauernverbänden und Ernährungsindustrie etwas entgegen setzen.

Anschließend führte Armin Struckmeier seine Gäste durch den Betrieb und machte deutlich, dass er sich gut vorstellen könne, die Produktion in Pattensen auszuweiten. Allerdings nicht, wenn sich einer oder gar mehrere Mastbetriebe ansiedelten. Dann, das deutete der Novatex-Chef an, sind auf längere Sicht fast 80 Arbeitsplätze in Pattensen nicht mehr sicher - gegenüber einem halben Arbeitsplatz, der in einer 40.000er Putenmastfabrik entsteht!